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Geht es dem Menschen gut, geht es Österreich gut

Artikel "Geht es dem Menschen gut, geht es Österreich gut" aus der UniNEtZ-Artikelserie in "Die Presse" vom 05. 11. 2021

Was macht ein gutes Leben aus? Welche Rolle spielt das Verhältnis zwischen Umwelt und Mensch? Und wie können wir Diskriminierung reduzieren? Menschliches Wohlergehen und Befähigung sind fundamentale Voraussetzungen für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wohlergehen basiert auf der Erfüllung von Bedürfnissen – heute und in Zukunft. Dabei sind zwei Dinge zentral: das subjektive Wohlbefinden der Menschen und die Rahmenbedingungen, die zum Wohlergehen beitragen, also Faktoren der Daseinsvorsorge – und wie diese in der Gesellschaft verteilt sind. Grundvoraussetzung für ein gelungenes Leben ist eine intakte ökologische und soziale Umwelt, die für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sozialer Herkunft, Bildung, ethnischer Zugehörigkeit, Nicht-/Behinderung, Religion, sexueller Orientierung sowie Staatsbürgerschaft zugänglich ist. All diese sozialen Kategorien sind Platzanweiser in unserer Gesellschaft und eng an Machtverhältnisse geknüpft. Die Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen, soll nicht zur Folge haben, dass andere eingeschränkt werden, auch gut zu leben. Das ist auch im zentralen Leitsatz der Agenda 2030 der UNO formuliert:

„Leave no one behind (Niemanden zurücklassen)“. Mit diesem Versprechen haben sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet, Armut in all ihren Formen zu beseitigen und Diskriminierung und Ausgrenzung und Verringerung der Ungleichheiten und Schwachstellen zu beenden. Aufgrund der zunehmenden Verschärfung von Ungleichheiten, dies ist in der Covid-Krise noch sicht- und spürbarer geworden, wird die umfassende gesellschaftliche Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung immer notwendiger.

Folgende Bereiche sind zentral, um den sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft entgegenzuwirken:

  1. Vulnerable und marginalisierte Gruppen sollen mit mehr Rechten und Teilhabemöglichkeiten ausgestattet werden. Damit die Qualität der Demokratie in Österreich besser wird, ist die Einführung des Geburtsortsprinzips (jus soli) sinnvoll. Damit würde die österreichische Staatsbürgerschaft an alle Neugeborenen/Kinder verliehen, die hier geboren werden. Um politische Partizipation zu stärken und breit akzeptierte Lösungswege auszuarbeiten und umzusetzen, sollen kooperative Regierungsformen wie Bürgerräte, Nachbarschafts- und Kinderparlamente eingerichtet werden. Auch in der Bildung ist eine flächendeckende und systematische gendersensible Pädagogik bereits ab dem Kindergarten maßgeblich, um problematische Ausprägungen von Männlichkeit zu bekämpfen und positive und gewaltlose Männlichkeiten zu schaffen. In Schulen kann Bewusstsein über Gewalt im Netz gebildet werden
    und Friedensbildung systematisch verankert werden.
  2. Arbeit und Einkommen: Arbeit sollte in erster Linie an den Bedürfnissen der Gesellschaft, also aller Menschen, und nicht an jenen des Markts ausgerichtet sein. Neben der materiellen Vergütung trägt vor allem die Erwerbsarbeit zum individuellen Wohlergehen bei. Dabei ist die Inklusion von Menschen mit chronischer Erkrankung und Behinderung durch fördernde Rehabilitationsmaßnahmen und Schaffung inklusiver Arbeitsplätze ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung echter Vollbeschäftigung. In diesem Zusammenhang ist es essenziell, auf das ungleiche Verhältnis von bezahlter zu unbezahlter Arbeit in Österreich (vor allem nach Geschlecht, aber auch altersbedingt) hinzuweisen. Frauen leisten nach wie vor den größten Teil der unbezahlten Care-Arbeit – auch kinderbezogene Betreuung. Eine Einführung von unübertragbaren Karenzzeiten für beide Elternteile bildet eine Grundlage für die gerechte Verteilung. Eine Umverteilung der Erwerbs- wie auch der Sorgearbeit kann zu größerer Gerechtigkeit, auch zwischen den Geschlechtern (SDG 5), führen.
  3. Soziale Sicherung und soziale Infrastruktur: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für menschliches Wohlergehen ist Bildung. Angemessene Angebote und der freie Zugang zu Bildung sind generationenübergreifend entscheidend, um im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung und Transformation handlungsfähig zu werden. Die Abkehr von der frühen Differenzierung im Schulsystem und ein gemeinsamer Unterricht mit ganztägiger Betreuung aller Kinder und Jugendlichen bis 14 Jahre tragen zur Verringerung der vererbten Bildung bei und gewährleisten soziale Mobilität und Inklusion.
  4. Gesundheit: Das nachhaltige Entwicklungsziel (SDG 3) lautet: „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.“ Ein vorwiegend auf die Reparatur von Krankheit fokussierendes Gesundheitssystemist nicht nachhaltig. Zentral bei der Gesundheitsvorsorge ist der Fokus auf gesundheitsfördernde Verhältnisse, nicht auf das Verhalten Einzelner. Zur Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung sollten Gesundheitsauswirkungen bei allen Entscheidungen systematisch und systemisch berücksichtigt werden. Obdach und Wohnraum sind ein fundamentales menschliches Grundbedürfnis. Immobilien werden zunehmend als profitable Anlagemöglichkeiten genutzt und stehen nicht mehr primär zur gesellschaftlichen Versorgung von Wohnraum zur Verfügung. Durch Preissteigerungen wird immer mehr Menschen der Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum verwehrt. Die daraus resultierende Wohnungslosigkeit ist eine fundamentale Barriere für gesellschaftliche Teilhabe und führt zu gesundheitlichen Belastungen und verringerter Lebenserwartung.

Gutes Leben kann gelingen

All diese Lösungswege erfordern klare Rahmenbedingungen seitens der Politik. Zudem braucht es auch mehr Investitionen in die Forschung. Unabdingbar ist hier die Zeitverwendungsstudie, die in Österreich weiterhin auf sich warten lässt. Mit dieser würde sich ein besseres Bild über die ungleiche Aufteilung zwischen Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit ergeben. Ein gutes Leben für alle in Österreich wird aber nur dann gelingen, wennsystemische Hebel in Gang gesetzt werden und auf allen Ebenen – kollektiv wie auch individuell – daran gemeinsamgearbeitet wird.