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Das regionale Biokistl vor der Tür wird nicht reichen

Artikel "Das regionale Biokistl vor der Tür wird nicht reichen" aus der UniNEtZ-Artikelserie in "Die Presse" vom 17. 12. 2021


Städte und Gemeinden sind besonders gefordert, Bedingungen zu schaffen, die Menschen nachhaltiges Leben erleichtern.

Österreichs Städte und Gemeinden haben sich in den vergangenen 100 Jahren stark verändert: Durch die Verfügbarkeit fossiler Energien konnten sie sich schrittweise von regionalen Abhängigkeiten lösen. Die Städte wuchsen in das Umland, der ländliche Raum wurde stärker denn je zersiedelt und der Boden versiegelt. Daraus entstanden jedoch neue Abhängigkeiten: Die meisten Lebensmittel, Rohstoffe und Produkte legen heute weite Wege zurück, bevor sie in den Regalen landen oder als Infrastruktur verbaut werden. In Städten ist eine Selbstversorgung für die meisten undenkbar. Am Land ist das Auto fast unverzichtbarer Bestandteil des Alltags. Nachhaltig ist das nicht. Die dafür benötigte Energie wird weitgehend aus endlichen Rohstoffen wie Kohle, Öl und Gas gewonnen. Deren Verbrennung beschleunigt die globale Erwärmung. Rege Bautätigkeit führt zu einem hohen Ressourcenverbrauch. Die langen Transporte benötigen viel Energie. Gleichzeitig schwindet die regionale Versorgungssicherheit, wenn jedes Jahr Hunderte bäuerliche Betriebe das Handtuch werfen und kleine, regionale Unternehmen von großen Ketten und Online-Handel verdrängt werden; wenn man von seltenen Erden abhängig ist, die am anderen Ende der Welt gewonnen werden; und wenn man Technologien benötigt, die man selbst nicht herstellen kann.

Zu wenige, die so handeln

Viele Menschen wollen dagegen etwas unternehmen. Einige gründen Food Coops, andere bestellen wöchentlich regionale Gemüsekistln und kaufen Bio-FairTrade-Mode. Manche verkaufen oder verschenken Dinge, die sie nicht mehr brauchen; sie nehmen, so oft es geht, das Fahrrad und fahren mit dem Zug in den Urlaub. Unterm Strich sind es jedoch nur wenige Menschen, die so handeln. Denn unter den bestehenden Rahmenbedingungen ist es oft leichter, importierte Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen, billige Wegwerfmode online zu bestellen, nicht mehr Benötigtes wegzuwerfen und die Alltagswege mit dem Auto zurückzulegen. Städte und Gemeinden sind daher besonders gefordert: Innerhalb ihres Handlungsspielraums müssen sie Rahmenbedingungen schaffen, die es den Menschen erleichtern, nachhaltig zu leben. Das beginnt bei der Raumordnung: Wenn die Orte für Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit und Bildung nah beisammen liegen, sind die Alltagswege kurz und können leicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Im Gegensatz zu stark zersiedelten Regionen können dicht besiedelte Räume leichter an das öffentlich Verkehrsnetz angeschlossen werden. Auch die Versorgung mit Strom und Heizenergie wird einfacher – ebenso wie die Errichtung und Instandhaltung von Wasserleitungen, Sanitärversorgung, Kommunikationsinfrastruktur und Straßen. Doch dicht gebaute Siedlungen haben nicht nur Vorteile: Je enger die Menschen zusammenleben, desto höher ist das Konfliktpotenzial; desto stärker konzentrieren sich Hitze, Abgase, Lärm und Müll; und desto schwieriger wird es, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Daher sind die Kommunen gefordert, die öffentlichen Räume in der Stadt aktiv und inklusiv zu gestalten: Die Menschen brauchen Raum, um sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad rasch und sicher bewegen können; sie brauchen Plätze, auf denen sie in Ruhe ausspannen oder ihre Kinder unbesorgt herumlaufen lassen können; sie brauchen Parks, Grün und Wasserflächen, damit sie sich erholen und Sport betreiben können und nicht jedes Wochenende aufs Land fahren müssen. Sie brauchen aber auch Geschäfte und Märkte, bei denen sie nachhaltige Produkte und Dienstleistungen kaufen können; sie brauchen Restaurants, in denen regionale, saisonale, biologische Speisen zu leistbaren Preisen serviert werden; sie brauchen konsumfreie Orte, in denen sie sich treffen und austauschen können; und nicht zuletzt auch Räume, um sich einzubringen und mitzugestalten. Fahrzeuge leihen Nachhaltige Städte und Gemeinden schaffen Möglichkeiten, Fahrzeuge und diverse Gegenstände, die man im Alltag benötigt, auszuleihen oder kostengünstig zu reparieren. Sie fördern die ökologische Sanierung von Gebäuden, verhindern Leerstände und sichern leistbaren, klimaneutralen Wohnraum. Sie unterstützen gezielt kleine, regionale Betriebe und schaffen dadurch sinnstiftende, sichere Arbeitsplätze in der Region. Sie ermöglichen und stärken dezentrale Kreisläufe und regionale Wertschöpfung und geben der Natur, aber auch Kunst und Kultur einen hohen Stellenwert. Nachhaltige Städte geben dem Fuß- und Radverkehr Vorrang. Sie bauen ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz auf, das weit über die Stadtgrenzen hinausreicht. Ländliche Gemeinden unterstützen dies, indem sie kleine Park-&-Ride bzw. Bike-&-Ride-Plätze an den ÖV-Stationen errichten. Dadurch können S-Bahnen und Regionalbusse entlang bestimmter Achsen dicht getaktet zwischen Stadt und Land verkehren – und das Auto wird auch für das Pendeln nicht mehr benötigt.

Gegen fossile Abhängigkeit

Durch diese Schritte werden die Städte und Gemeinden wieder zunehmend unabhängiger von fossilen Brennstoffen und globalen Lieferketten. Sie gewinnen Handlungsmacht und Entscheidungsspielräume zurück. Doch der Weg dorthin ist nicht einfach: Gebäude, Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur hängen eng miteinander zusammen. Viele Menschen und Unternehmen können im jetzigen System offenbar gut leben. Ihre Veränderungsbereitschaft ist dementsprechend gering – vor allem dann, wenn die Menschen keine Alternativen sehen. Transformation kann daher nur gelingen, wenn die betroffene Bevölkerung aktiv eingebunden wird: Wenn z. B. eine neue Fußgängerzone errichtet werden soll, binden nachhaltige Städte und Gemeinden ihre Bürger und Bürgerinnen von Anfang an ein – und lassen die Wünsche und Sorgen der Menschen in nachvollziehbarer, transparenter Art und Weise in die Planung einfließen. Der Aufwand, der dafür notwendig ist, ist deutlich geringer als jener, der im Nachhinein entsteht, wenn Bürger und Bürgerinnen Einsprüche erheben oder gegen bestimmte Vorhaben protestieren. Die meisten dieser Maßnahmen können Städte und Gemeinden bis zu einem gewissen Grad selbst umsetzen. Gleichzeitig sind sie jedoch stark von anderen abhängig – von Bund und Ländern, aber auch von der Unterstützung von Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kunst. Diese Kräfte zu bündeln wird die wohl wichtigste Herausforderung der Zukunft.