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UniNEtZ-Reflexion zur Ukraine-Krise: Ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung, ohne nachhaltige Entwicklung kein Frieden

Die Reflexion wurde von Wilhelm Guggenberger (Leitung SDG 16, Universität Innsbruck) aus friedensethischer Sicht verfasst und zeigt unter anderem auf:
Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben, ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden. UniNEtZ-Mitwirkende haben die Möglichkeit, die in der Reflexion formulierte Position dezidiert mit einer Unterzeichnung zu unterstützen. Die Erstunterzeichner_innen (bis 04.04.2022, 12:00 Uhr) sind bereits am Ende des Textes aufgelistet.

Peace and Partnership zählen zu den tragenden Säulen der Agenda 2030 und ergänzen damit die Aufmerksamkeit für People, Planet, Prosperity im Einsatz für nachhaltige Entwicklung. Ohne Friede und globale Kooperation gibt es keine gedeihliche Zukunft für unseren Planeten und unsere Spezies auf ihm.

Während in den zurückliegenden Jahren weltweit sogenannte Low-intensity-conflicts das Bild gewaltsamer Auseinandersetzungen prägten, in denen zumindest eine der beteiligten Konfliktparteien kein Staat ist (etwa 85 % aller bewaffneten Konflikte), sind wir nun in Europa mit einem Ereignis konfrontiert, das wir in diesem Raum für historisch überwunden hielten: einem Angriffskrieg eines Staates auf einen anderen, in dem der Aggressor überdies die größte Atommacht des Planeten ist. Nicht nur die Tatsache, dass dieser Konflikt in unmittelbarer Nachbarschaft stattfindet, nötigt Österreich und der gesamten Europäischen Union mehr Aufmerksamkeit ab als andere Kriege, deren Opfer wir mitunter allzu leicht vergessen und aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängen. In unüberbietbarer Deutlichkeit macht der brutale Angriff auf die Ukraine bewusst, wie schmerzlich wir eine wirklich tragfähige internationale Rechtsordnung vermissen. Die Strukturen und Elemente einer Global Governance bleiben auf den Goodwill aller Beteiligten in multilateraler Kooperation angewiesen. Da es bislang nicht gelungen ist, eine realisierbare Alternative für diese Situation zu entwickeln und dies wohl auch längerfristig nicht erwartet werden kann, ist es umso essentieller, mit aller Kraft an internationaler Abrüstung, insbesondere jener von Massenvernichtungswaffen zu arbeiten. Die Verfügung über Atomwaffen durch einzelne Staaten macht die gesamte Menschheit erpressbar, wie wir gegenwärtig bitter erfahren müssen. Dem Bruch des Völkerrechts ist wenig entgegenzusetzen, wo mit derartigen Drohpotentialen operiert werden kann.

Angesichts dessen kann man nur mit Erschrecken feststellen, dass zahlreiche Staaten – unter ihnen auch Österreich – eine adäquate Reaktion auf die inakzeptable Aggression Vladimir Putins in eigener Aufrüstung sehen. Es gehört wohl zu einem der fatalsten Aspekte kriegerischer Konflikte, dass die Angegriffenen und ihre Sympathisant_innen in ihrem berechtigten Bemühen um Verteidigung sich der Logik des Angreifers anzugleichen beginnen.

Die militärische Selbstverteidigung der Ukraine muss zweifellos als legitim bezeichnet werden, auch wenn sie wohl kaum Aussicht auf dauerhaften Erfolg hat und die Zahl der Opfer vermehrt. Die Bereitschaft der politischen Führung und von großen Teilen der Bevölkerung der Ukraine, Freiheit und Menschrechte in ihrem Land auch unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen, verdient größte Bewunderung. Dennoch ist es von zentraler Bedeutung, dass Europa sich in dieser Situation nicht blindlings einem neuen Militarismus hingibt. Aufrüstung kann nicht das Mittel der Wahl sein, um dem internationalen Faustrecht eine Absage zu erteilen. Folgten wir kollektiv der Logik, dass brachiale Gewalt stets siegt, hätte Putin bereits jetzt einen Triumph errungen, der weit über das Feld des geostrategischen Imperialismus hinausreichte. Er hätte dann einen Kulturwandel zerstört, an dem seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs global gearbeitet wird und für den sowohl das Projekt der Vereinten Nationen als auch jenes der Europäischen Union steht.

Wir sollten uns vom devianten Verhalten eines Tyrannen keine weltgeschichtliche Zeitenwende diktieren lassen. Im Grunde ist es unerträglich, wenn gesagt wird, dass nun auch für Europa der Urlaub von der Geschichte seit 1989 vorbei sei und wir zurück in die Realität geholt wurden, dass die durch das Ende des Kalten Krieges errungene Friedensdividende aufgebraucht sei. Solche Rede bedeutet nichts anderes, als die Normalität des Krieges zu akzeptieren. Wir erklären damit die Nachkriegsweltordnung zur Zwischenkriegszeit, zum Zwischenspiel, das jetzt auf die Müllhalde der Geschichte kann. Ist uns, die wir das Glück hatten im Frieden aufzuwachsen, dieses Geschenk so wenig wert?

Das Engagement der zivilisierten Welt muss gerade jetzt der Friedenserziehung gelten, zu der auch die Vermittlung von Strategien zivilen und gewaltfreien Widerstandes gehört. Wenn in der gegenwärtigen Situation akut die Finanzierung militärische Mittel unausweichlich scheint, ist diese durch ebenso hohe Mittel für Friedensforschung und Friedensbildung zu ergänzen. Längerfristig dienen die Unterstützung politischer Pluralität und Meinungsfreiheit weltweit dem Frieden mehr als eine Erhöhung von Militär-etats. Der nun so häufig und mit gutem Grund beschworene Wert von Demokratie und Freiheit schien in den zurückliegenden Jahren dort deutlich weniger respektiert, wo er westlichen Wirtschaftsinteressen im Wege war. Nun gilt es auf den eklatanten Bruch von Völkerrecht und Menschenrechten mit den schärfst-möglichen Sanktionen zu reagieren, auch dort, wo es uns selbst schmerzt. Die Folgen solchen Widerstandes im eigenen Land sozial abzusichern ist eine Investition sowohl in die internationale Ordnung als auch in den sozialen Frieden im Land. Dies und die Hilfe für Opfer des gegenwärtigen Krieges wird unserem Staatshaushalt einiges abverlangen, ihn mit der Finanzierung international kaum hörbaren Säbelrasselns zu belasten, sollte für Österreich keine Priorität besitzen.

Da gesellschaftliche Diskurse als Element struktureller und kultureller Gewalt den Frieden ebenso bedrohen wie Akte direkter Gewalt, ist auf die Art politischer Rhetorik und medialer Berichterstattung gerade in einer höchst angespannten Situation wie der gegenwärtigen besonders sorgfältig zu achten. Wir stellen jedoch fest, dass sowohl die Wortwahl in medialer Berichterstattung als auch die Auswahl von befragten Expert_innen zusehends der Logik des Krieges, nicht der Deeskalation folgen.

Langfristig gilt es Krieg in derselben Weise zu ächten, wie es mit Sklaverei geschehen ist. Gleiches gilt für privatwirtschaftliche Waffenproduktion und Rüstungsindustrie weltweit. Einen Krieg zu beginnen hat in internationalem Recht als Verbrechen zu gelten, nicht erst einzelne besonders grausame Gräueltaten in der Kriegsführung.

Wenn wir uns jetzt von einem Amok laufenden Regime die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben der Völker nehmen lassen, könnte dies angesichts der planetaren Herausforderungen, vor denen wir stehen, gleichbedeutend mit einer Aufgabe der Hoffnung für eine Zukunft der Menschheit sein. Die gegenwärtige Situation zeigt uns nicht nur durch die Gefährdung von Atomkraftwerken, wie desaströs Kriege heute jenseits des eigentlichen Kampfgeschehens sein können. Das so notwendige Engagement für Klima- und Artenschutz wird ein weiteres Mal aus dem Zentrum politischer Aufmerksamkeit gedrängt. Die Bekämpfung von Armut und Hunger, insbesondere im globalen Süden wird durch den Ausfall von Lebensmittelproduktion und -export aus Russland und der Ukraine neuerlich um viele Jahre zurückgeworfen. Die Opfer dieses Krieges werden nicht nur auf den Schlachtfeldern zu finden sein. All dem lässt sich nicht mit militärischer Gewalt begegnen. Darin zeigt sich gerade jetzt wie berechtigt und dringlich das Bekenntnis der Agenda 2030 ist: „Wir sind entschlossen, friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind. Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden.”

Erstunterzeichner_innen und Unterstützer_innen:

(Reihung nach Eintragung in Liste, Stand: 04.04.2022, 12:00 Uhr)

Tabea Bork-Hüffer, Universität Innsbruck
Annemarie Schneeberger, Universität Innsbruck
Franziska Allerberger, Universität Innsbruck
Wolfgang Streicher, Universität Innsbruck
Günter Langergraber, Universität für Bodenkultur Wien
Johannes Rüdisser, Universität Innsbruck
Andreas Koch, Universität Salzburg
Florian Borgwardt, Universität für Bodenkultur Wien
Bernhard Kernegger, Universität für angewandte Kunst Wien
Martin Regelsberger, Technisches Büro für Kulturtechnik Regelsberger
Benedikt Becsi, Universität für Bodenkultur Wien
Dietmar Flosdorf, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Georg Gratzer, Universität für Bodenkultur Wien
Franz Fehr, Universität für Bodenkultur Wien
Daniela Fuchs-Hanusch, Technische Universität Graz
Anke Bockreis, Universität Innsbruck
Anke Strüver, Universität Graz
Sabina Ertl, Universität für Weiterbildung Krems
Ingeborg Schwarzl, Climate Change Centre Austria
Mathias Kirchner, Universität für Bodenkultur Wien
Ingomar Glatz, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Yvona Asbäck, Universität für Weiterbildung Krems
Maximilian Muhr, Universität für angewandte Kunst Wien
Kirsten von Elverfeldt, Universität Klagenfurt
Georg Blaha, Kirchl. Pädagogische Hochschule Wien/Krems
Lissa Gartler, Kunstuniversität Graz
Silvia Erdik, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Andreas Melcher, Universität für Bodenkultur Wien

Weitere Unterzeichner_innen und Unterstützer_innen:

(Reihung nach Eintragung in Liste, Stand: 25.04.2022, 09:00 Uhr)

Axel Petri-Preis, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Manuela Hirschmugl, Universität Graz
Martin Kainz, WasserCluster - Biologische Station Lunz
Manfred Kleidorfer, Universität Innsbruck
Bettina Knoflach, Universität Innsbruck
Franz Rauch, Universität Klagenfurt
Andreas Exenberger, Universität Innsbruck
Helga Mayr, Pädagogische Hochschule Tirol
Susanne Kubisch, Universität Innsbruck
Andrea Höltl, Universität für Weiterbildung Krems
Lisa Bohunovsky, Universität für Bodenkultur Wien
Thomas Lindenthal, Universität für Bodenkultur Wien
Nina Knittel, Universität Graz
Anna Oberrauch, Pädagogische Hochschule Tirol
Meike Bukowski, Paris-Lodron Universität Salzburg
Harald Stelzer, Universität Graz
Heide Neges, TU Graz