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Reflexion nach einem einjährigen Aufenthalt in Gabun: gegenseitiges Lernen als Basis für eine nachhaltige gemeinsame Entwicklung

Ich verbrachte ungefähr ein Jahr von August 2021 bis Juni 2022 in Gabun, Afrika, im Zuge meiner Abschlussarbeit für mein Studium. In Gabun hielt ich mich am Centre de Recherches Médicales de Lambaréné (CERMEL) auf, ein Forschungszentrum mit dem Schwerpunkt auf tropenmedizinsche Erkrankungen, das 2001 vom dortigen Albert-Schweitzer-Krankenhaus finanziell und administrativ unabhängig wurde (1). Die meiste Forschung wird im Bereich Malaria betrieben, andere Themen sind Wurmerkrankungen wie Schistosomiasis und Loa Loa oder große Impfstoffstudien, wie zum Beispiel eine große Studie zum RTS,S Malaria Impfstoff, der im Oktober 2021 von der WHO als Impfstoff für Kinder in Sub-Saharan Africa (SSA) zugelassen wurde (2).

Am CERMEL half ich vor allem bei zwei Studien als „Clinical Investigator“ mit. Eine der Studien evaluierte einen Ebola-Impfstoff an Kindern, während die andere Studie versuchte zu entschlüsseln, wie sich Ernährung und chronische Infektionen auf das Immunsystem auswirken. Dies geht auf die Feststellung zurück, dass verschiedene Impfstoffe in SSA nicht so gut wirken wie im Globalen Norden. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass unter anderem Anämie, häufig durch Eisenmangel verursacht und verbreitet in SSA, das Immunsystem beeinflusst (3). Zu meinen Aufgaben zählte die Untersuchung der eingeschlossenen Kinder und im Falle einer Erkrankung eine Diagnostik anzuordnen und eine Therapie zu verschreiben. Zu den häufigsten Krankheitsbildern gehörten: Malaria, Hautinfektionen und simple virale Infekte. Abseits davon verbrachte ich meine Zeit mit der Diplomarbeit und auch im Albert-Schweitzer-Krankenhaus nebenan, wo ich versuchte, mein klinisches Wissen nicht komplett verstauben zu lassen.

Natürlich boten elf Monate aber auch eine Menge Zeit, um in die dortige Kultur einzutauchen. Ich bin daher echt froh, so lange dort gewesen zu sein, weil ich bei einem kürzeren Aufenthalt höchstwahrscheinlich kein so tiefgründiges Verständnis für die dortige Kultur entwickelt hätte. Fischen am Ogooué, Palmwein ernten und natürlich trinken, quer durch den Regenwald spazieren, am Abend ausgehen, ein Fußballmatch anschauen und so weiter und so fort. Ich bin dankbar für die Möglichkeit und für die vielen Erfahrungen.

Nachdem ich nun beschrieben habe, wieso ich dort war und wie ich mich aufhielt, möchte ich mich nun dem Ziel dieser Reflexion widmen und einen Vergleich anstellen zwischen dem gabunesischen und österreichischen Gesundheitssystem anhand des 3. Sustainable Development Goals der United Nations. Allerdings möchte ich darüber hinausgehen und diesen Vergleich in einen größeren Kontext setzen.

Auf den ersten Blick ist Gabun Österreich in Sachen Gesundheit eindeutig unterlegen (alle folgenden Zahlen von 2020). Die Lebenserwartung bei der Geburt betrug in Gabun 67 Jahre, verglichen zu 81 Jahren in Österreich. Die Sterblichkeitsrate der Kinder <5 Jahre auf 1.000 Lebendgeburten war bei 42 in Gabun und bei 4 in Österreich. Die Prävalenz von HIV in der kompletten Bevölkerungsgruppe im Alter von 15-49 Jahren belief sich auf 3,1% in Gabun und 0,1% in Deutschland (keine Zahlen zu Österreich verfügbar). Malaria ist ein großes Public Health Problem in Gabun mit einer Inzidenz von 215,5 pro 1.000 Menschen mit Risiko in einem Jahr. Die Prävalenz von Untergewicht in Kindern <5 Jahre war bei 6,4% im Jahr 2012. Bei all diesen Zahlen ist es wichtig, den Verlauf zu berücksichtigen, und erfreulicherweise zeigen sich dabei in Gabun positive Entwicklungen in den letzten Jahren. Diese Unterschiede kommen allerdings nicht von irgendwo, die kompletten Ausgaben (also private und öffentliche) für die Gesundheit pro Person im Jahr 2019 beliefen sich auf 432 $ in Gabun verglichen mit 6.134 $ in Österreich (4). Österreich kann sich das bei einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von ca. 58.000 $ im Jahr 2019 natürlich eher leisten als Gabun mit einem BIP pro Kopf von ca. 15.500 $ (5). Es ist also nicht allzu verwunderlich, dass es in Sachen Gesundheit zum Teil noch große Unterschiede gibt. Diesen Daten nach zu urteilen ist das Gesundheitssystem in Österreich sicher das bessere mit hochentwickelter Medizin und Therapie, für die sogar meist der Staat die Kosten trägt. Dazu kommt, dass das Gesundheitssystem in Gabun aus persönlicher Sicht eher schlecht organisiert ist, manche Gebiete aufgrund des dichten Regenwalds extrem schwer zu erreichen sind und auch andere hygienische Standards in Gesundheitseinrichtungen herrschen. Eine öffentliche Gesundheitsversicherung gibt es in Gabun seit ein paar Jahren, allerdings gab es immer wieder Menschen, die nicht versichert waren. Woran das genau lag und wie die Versicherung genau funktioniert, weiß ich leider nicht. Menschen ohne Versicherung konnten sich notwendige Medikamente manchmal nicht leisten, da sie selbst für diese aufkommen mussten, das war traurig anzusehen. Die Welt ist nicht gerecht, es ist nicht fair, dass ich in einem hochentwickelten Land geboren wurde und die damit einhergehenden Vorteile genieße. Wie privilegiert ist selbst die Tatsache, dass ich mir als Student ohne eigenes Einkommen einfach so einen fast einjährigen Aufenthalt in Gabun finanzieren kann und zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit habe, in das heile Europa heimzukehren.

Dass bei solchen Erzählungen und Narrativen in „High income countries“ (HIC) vor allem bei jungen Menschen das Bedürfnis aufkommt zu helfen, ist an sich absolut nachvollziehbar und eine gute Intention. Seit Jahren zeigt sich in Gesundheitsberufen eine steigende Anfrage für kurzfristige Erfahrungen im Global Health Bereich, normalerweise ausgehend von den sogenannten HIC in die „Low- and middle-income Countries“ (LMIC), um dort zu lehren, Forschung zu betreiben oder in einer medizinischen Einrichtung zu arbeiten. Allerdings kam diesbezüglich auch diverse Kritik auf: Der positive Impact auf die lokale Gemeinschaft wird oft bezweifelt, da das Einlernen der Auszubildenden bereits knappe Ressourcen vor Ort bindet, die anderweitig besser genutzt wären. Des Weiteren zeigt sich eine mangelnde Sensibilität für die lokale Kultur oder das medizinische Arbeiten in Situationen, für die man nicht ausreichend qualifiziert ist. Ein anderer großer Kritikpunkt ist die Verstärkung schon vorhandener Machtstrukturen, da Auszubildende häufig aus den ehemaligen kolonialisierenden Ländern stammen und die ehemals kolonialisierten Länder besuchen (6). Es gilt also sehr genau zu beurteilen, wie solche Aufenthalte am profitabelsten für beide Seiten gemacht werden können.

Ein weiterer Punkt ist mir sehr wichtig. Auch wenn das Gesundheitssystem in Gabun nach leicht quantifizierbaren Parametern schlechter ist als das österreichische, die Menschen dort wirkten auf mich generell nicht unzufriedener. Glück und Zufriedenheit zu messen und dann auch noch in eine einzige Zahl zu gießen, ist natürlich eine große Herausforderung, trotzdem finde ich, dass zum Beispiel der World Happiness Report für einen groben Vergleich durchaus herangezogen werden kann. In dem Report aus 2022 platziert sich Österreich auf dem 11. Platz, während Gabun weit abgeschlagen auf dem 106. Platz liegt (7). Mein Eindruck ist wohl ein sehr subjektiver, aber wie offen Menschen auf mich zugingen, wie viel miteinander auch auf der Arbeit gelacht und geredet wurde, wie hilfsbereit die Menschen waren und mit wie wenig materiellem Besitz Menschen wirklich zufrieden wirkten. Ich dachte an meine Heimat, wo man sich gerne durch Konsum das große Glück verspricht, man sich mit verschiedenen Gütern zuschüttet, um sich von tiefgründigeren Fragen abzulenken, Menschen gehetzt durchs Leben gehen und kam zum Entschluss, dass beide Seiten etwas voneinander lernen könnten. Ein meines Erachtens stark vorherrschendes Narrativ in der westlichen Welt ist, dass LMIC von HIC lernen müssen, und in gewissen Aspekten mag das seine Berechtigung haben, aber es gibt auch Aspekte in denen HIC von LMIC lernen können. Die Offenheit, mit der auf Fremde zugegangen wird, mit wie viel Freundlichkeit und Humor dort gearbeitet wird, die körperlich zum Teil sehr anstrengende Arbeit auf dem Feld und die Reduktion auf Dinge wie Freunde und Familie, was zu einem sehr ausgeprägten Sozialleben und einem starken Familienzusammenhalt führt.

Ich glaube, dass ein stärkeres gegenseitiges Lernen anstatt eines vor allem einseitigen Lernens zu einer besseren gemeinsamen Entwicklung führen würde. Dieses gegenseitige Lernen ist, denke ich, nur möglich, wenn man sich mit Respekt und Unvoreingenommenheit gegenübertritt und offen ist für andere Herangehensweisen. Zusätzlich ist es für Menschen aus einem HIC wichtig, sich der eigenen Privilegien bewusst zu sein. Menschen haben mehr gemein als sie nicht haben, und ich bin davon überzeugt, dass die meisten Menschen das Beste wollen, aber die Wege dorthin sehr unterschiedlich sind. Ein gemeinsamer und fairer Diskurs auf Augenhöhe bietet sicher eine gute Möglichkeit, um zu guten Lösungen zu kommen.

Literatur:

1. Centre de Recherches Médicales de Lambaréné. History [Internet]. 2022 [cited 2021 Nov 10]. Available from: https://www.cermel.org/history.php.

2. Maxmen A. Scientists hail historic malaria vaccine approval — but point to challenges ahead [Internet]. 2021 Oct 08 [cited 2022 Oct 20]; Available from: https://www.nature.com/articles/d41586-021-02755-5.

3. Hill DL, Carr EJ, Rutishauser T, Moncunill G, Campo JJ, Innocentin S, et al. Immune system development varies according to age, location, and anemia in African children. Sci Transl Med. 2020;12(529). doi: 10.1126/scitranslmed.aaw9522 [Epub 2020 Feb 05].

4. Our World in Data. Total health expenditure per person, 2019 [Internet]. 2019 [cited 2023 Jan 2]. Available from: https://ourworldindata.org/grapher/annual-healthcare-expenditure-per-capita.

5. Our World in Data. Healthcare expenditure vs. GDP, 2019 [Internet]. 2019 [cited 2023 Jan 2]. Available from: https://ourworldindata.org/grapher/healthcare-expenditure-vs-gdp?country=GAB~AUT.

6. Shah S, Lin HC, Loh LC. A Comprehensive Framework to Optimize Short-Term Experiences in Global Health (STEGH). Global Health. 2019;15(1):27.

7. Helliwell, J. F., Layard, R., Sachs, J. D., De Neve, J.-E., Aknin, L. B., & Wang, S. (Eds.). World Happiness Report 2022 [Online document]. New York; 2022. Available from: https://worldhappiness.report/ed/2022/.